Fast zwei Stunden lang erzählte Prof. Lutz-Dieter Behrendt im Klosterhof höchst unterhaltsam über die Deggendorfer Vergangenheit und davon, wie er dazu gekommen ist, die Kleine Stadtgeschichte von Deggendorf zu schreiben. Als es ihn zufällig nach Deggendorf verschlagen hatte, suchte er zunächst vergebens nach der „historischen Altstadt“, die am Rande der Autobahn versprochen wird. Prof. Behrendt kommt aus der Hansestadt Salzwedel, einer Stadt in der Altmark mit großer Vergangenheit und einer wirklich intakten Altstadt mit schönen Fachwerkhäusern und einer Stadtmauer mit den alten Toren. Da versteht man, dass es dauerte, bis der Neubürger die Schönheiten Deggendorfs für sich entdeckte. Das Schiffsmeisterhaus von 1589 etwa, das den zwei Schiffsmeistern in Deggendorf gehörte, reichen Herren. Beim Studium mittelalterlicher Dokumente im Stadtarchiv stellte der Historiker dann fest, dass die Altmark (in Sachsen-Anhalt) unter Ludwig dem Bayern einst zu Bayern gehörte. Erst sein Nachkomme, Ludwig der Faule, verhökerte die Mark Brandenburg.
Woher hat die Rusel ihren Namen? Vom Ruseln, dem Transport der Baumstämme. Und der Ruselabsatz erinnert an die Zeit der Händler, die dort ihre schweren Kraxen abstellten. Deggendorf litt unter dem 30-jährigen Krieg, dem österreichischen Erbfolgekrieg, dem bayerischen Erbfolgekrieg. Aber die Hussiten haben die Stadt nie angegriffen, wurden also auch nie mit einem Knödel vertrieben. Tatsächlich kamen die Hussiten 1429 nur bis Bayreuth; Herzog Wilhelm aber erwartete ihren Angriff in Deggendorf, bat auch Verbündete um Verstärkung. Und schon 40 Jahre später wurde die Hussitensäule aufgestellt, die an den Sieg über die Feinde erinnern sollte. Aber das war gelogen. Die Steinkugeln am Rathaus übrigens waren nie für kriegerische Zwecke bestimmt, sondern waren Schandkugeln für Personen, die an den Pranger gestellt wurden.
Prof. Behrendt plauderte von berühmten Deggendorfern wie dem Stadtschreiber Paulus Wäckinger, der 1534 alle Urkunden des Stadtarchivs auflistete und eine heute noch mustergültige Ordnung schuf. Orlando die Lasso, der Hofkomponist, heiratete seine Tochter Regina. Die Ideen der Französischen Revolution gefielen auch einigen Deggendorfern. So wurde der modern eingestellte Stadtpfarrer Johann Heinrich von Golling nach einer Denunziation verhaftet und der bischöflichen Kerkerhaft überstellt. Ihm wurde vorgeworfen, Mitglied der Freimaurer, der Illuminaten und der Rosenkreuzer zu sein, was Golling abstritt. Er kam gegen Bezahlung einer hohen Strafe nach einem Jahr frei; seine Deggendorfer Freunde Michael Straulino und der Weinwirt Florian Seidl kamen ebenfalls in Haft.
Weil es bereits zahlreiche Publikationen über die alte Geschichte der Stadt gibt, konzentrierte sich Prof Behrendt in seiner Stadtgeschichte auf die Neuzeit. Die Industrialisierung interessierte ihn, die Rolle der Bahn, der Verkehrswege, der Weg Deggendorfs zur Kulturstadt. 1841 bekam der erste evangelische Deggendorfer das Bürgerrecht. 1913 fand das erste Ruselbergrennen statt. Anfangs ging es vor allem darum, die steile Bergstrecke mit dem Automobil überhaupt zu schaffen. In jenen Jahren siedelte sich eine Klavierfabrik in Deggendorf an, wegen der günstigen Löhne. Allerdings wurde sie nach rund zehn Jahren wieder geschlossen. Von der 1200-Jahrfeier, die Pater Fink in den 50er Jahren organisierte, erzählte Behrendt. Das großartige Fest ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil das Gründungsdatum Deggendorfs einfach geschätzt wurde. Der Bevölkerung tat nach den Kriegsjahren die heitere Feststimmung jedenfalls gut.