Deggendorf. Das waren spannende Zeiten, damals und heute: Zwei Stunden lang entführte Werner Faßer kürzlich die Senioren im Klosterhof ins Reich der Mitte. Und zwar nicht in das moderne China von heute, sondern in eine ferne, exotische Welt – die doch erst 25 Jahre zurück liegt. Von 1992 bis 1996 lebte Lao Fa (übersetzt: weiser Faßer) als Lehrer in China. Wenn man die rasante Entwicklung anschaut, die das Land seitdem genommen hat, kann man nur sagen: Alles richtig gemacht.
Das Abenteuer fing schon beim Umzug an, oder eigentlich noch eher: Die Hanns-Seidel-Stiftung der CSU hatte die gute Idee, den Praktiker Faßer nach China zu schicken. Weder Werner noch Marianne kannten das Land und die Bedingungen. Sie sprangen ins kalte Wasser. Die Möbel wurden frühzeitig in Container verpackt und nach Nanking verschickt, auf dass man sich in China zumindest ein gemütliches Zuhause einrichten könne. Niemand ahnte, dass der Container zunächst auf Irrfahrt durch Asien ging – und erst Wochen später ankam. So stand das Ehepaar plötzlich vor einem schäbigen Wohnblock ohne Heizung, ohne TV, ohne Tisch. Und die Matratze fürs Bett war zwei Nummern kleiner als das Gestell.
Jubel, als endlich die Möbel eintrafen. Das ganze Viertel lief zusammen, um das zu beobachten. Soviel wussten die Faßers schon: Ohne Schmiergeld geht gar nix. Also wurde dem Zollbeamten diskret ein Umschlag mit Bakschisch zugeschoben. Die Diskretion war ganz überflüssig, der Zöllner zeigte seine „Beute“ strahlend herum – und unterschrieb die Papiere.
Damals dominierten noch die Fahrräder das Verkehrsgeschehen. Die paar Autofahrer in der Millionenstadt kannten die Polizisten alle persönlich, natürlich auch den Deggendorfer. Und Marianne Faßer wurde zur perfekten Hausfrau, die aus dem mitgebrachten Getreide Brot backte. Denn das war nirgends zu bekommen.
Ohne Heizung war die Wohnung im Winter so kalt, dass Marianne im Pelzmantel herumlief. Als man endlich Heizlüfter ergattert hatte, musste in Peking ein höherer Stromanschluss beantragt werden. Kein Schreibtisch, kein Regal – anfangs standen Fax und Telefon auf dem Fußboden. Aber das wurde besser: Man fand ein größeres Büro, besorgte in Hongkong Möbel aus Malaysia – und hatte sich doch recht komfortabel eingerichtet.
Mit seiner Mission war Faßer in ganz China unterwegs, vom tropischen Süden bis zur Mongolei. Wie ein Staatsgast wurde er in den kleinen Städte empfangen: Mit Blaskapelle, Aufmärschen und vielen Reden: Mancherorts hatte man noch nie einen Da Bizi, eine „Langnase“ gesehen. Die chinesische Haushälterin besorgte alles, was gefragt war: Lebendes Geflügel, das vor der Zubereitung geschlachtet wurde, Rind- und Schweinefleisch, Gemüse: Eine Essenseinladung bei den Faßers war begehrt. Denn immer mag man nicht Reis mit irgendwas zwischen Frosch und Schlange.
Über Land und Leute erzählte Werner Faßer, und dass damals die Uiguren noch nicht unterdrückt wurden. Aber erstmals kam in China das Problem der Arbeitslosigkeit auf. Darauf war niemand vorbereitet, Danwei, der allgegenwärtige Arbeitgeber, sorgte für alles – ohne Arbeit aber gab´s gar nix. Die Wohnungsnot war schlimm. Als Faßer einmal im Hof ein kleines Gelaß für den Duschboiler mauern ließ und nach dem Wochenende zurück kam, war das 2 x 4 Meter große Kammerl schon besetzt – von einem der Obdachlosen.
Damals wurde der Kommunismus wörtlich genommen: Alles gehört allen. Wer in einem der Herbergen nächtigte, fühlte sich natürlich berechtigt, die Fernbedienung des TV mitzunehmen. Und wer Stahl brauchte, holte sich einen der gußeisernen Gullydeckel von der Straße. Das wurde der Frau Prof. Quin zum Verhängnis: Sie stürzte nachts in einen offenen Gullyschacht und wurde erst tags darauf entdeckt und gerettet.
Man hätte dem Vortragenden noch lange zuhören können: Vom Getreide auf den Straßen, das von den vorüberfahrenden Autos „gedroschen“ wurde, vom Recycling beim Hausabbruch, vom Kaiserkanal, der „Rennbahn“ durch China und vom Morgenappell der Studenten. Das war einmal. Heute ist alles anders. Und gerade macht das Reich der Mitte wieder einen Wandel durch. Aber darüber können in 25 Jahren andere „Missionare“ berichten.
Großer Applaus als Dankeschön für einen unterhaltsamen Nachmittag.